Um mit einer Finite Elemente Analyse genaue und zuverlässige Ergebnisse zu erhalten, muss der richtige Elementtyp gewählt werden. Ein unpassender Elementtyp kann die Ergebnisse zum Teil deutlich verfälschen. In diesem Artikel werden zwei Effekte erläutert, die bei der Berechnung eines Problems mit Biegebelastung unter Verwendung von Hexaedern entstehen können: Hourglassing und Shear Locking.
Grundlagen
Nach dem Ansatz ihrer Formfunktionen können finite Elemente in lineare Elemente und Elemente höherer Ordnung unterteilt werden. Lineare Elemente werden auch als Elemente erster Ordnung bezeichnet. Im Zuge der numerischen Integration können die finite Elemente zudem hinsichtlich ihrer Integrationsordnung in reduziert und vollständig integrierte Elemente klassifiziert werden. Da in der Finite Elemente Analyse häufig die Gauß-Legendre-Quadratur verwendet wird, werden die Stützstellen des numerischen Integrationsverfahrens auch als Gaußpunkte bezeichnet. Bei finite Elementen mit reduzierter Integrationsordnung ist die Anzahl der Gaußpunkte geringer als bei finite Elementen mit voller Integrationsordnung.
Hourglassing
Hourglassing kann bei linearen Hexaedern mit reduzierter Integrationsordnung auftreten. Dieser Effekt ist in Abbildung 1 veranschaulicht. Ein linearer Hexaeder wird durch eine Biegebelastung verformt. Da der lineare Hexaeder aufgrund der reduzierten Integrationsordnung nur einen Gaußpunkt besitzt, verändert sich die Länge der gestrichelten Linien nicht. Auch der Winkel zwischen den Linien bleibt unverändert. Abhilfe schaffen quadratische Hexaeder mit reduzierter Integrationsordnung.
Abbildung 1: Hourglassing
Shear Locking
Shear Locking kann bei linearen Hexaedern mit vollständiger Integrationsordnung auftreten. Dieser Effekt ist in Abbildung 2 schematisch dargestellt. Ein linearer Hexaeder erfährt erneut eine Biegebelastung. Aufgrund der linearen Formfunktionen können sich die Kanten des Hexaeders jedoch nicht verbiegen, wodurch künstliche Schubspannungen entstehen können. Das Element verhält sich also zu steif. Shear Locking kann durch quadratische Hexaeder mit vollständiger Integrationsordnung verhindert werden.
Abbildung 2: Shear-Locking
Beispiel
An dem in Abbildung 3 gezeigten akademischen Beispiel sollen die Auswirkungen von Hourglassing und Shear Locking demonstriert werden. Bedeutung der Formelzeichen: Kraft F, Länge L, Elastizitätsmodul E, Querkontraktionszahl , Schubmodul G, Flächenträgheitsmoment I und Querschnittsfläche A.
Abbildung 3: Einseitig eingespannter Doppel-T-Träger
Unter der Annahme eines Bernoulli-Balkens beträgt die maximale Durchbiegung am freien Balkenende:
Hinzu kommt die Durchbiegung infolge von Schubanteilen:
In wird der Schubkorrekturfaktor
berücksichtigt:
Die gesamte Durchbiegung am freien Balkenende ergibt sich schließlich zu:
Die Lösungen verschiedener Finite Elemente Analysen in Abaqus werden mit der obigen analytischen Referenzlösung verglichen. Dabei werden die folgenden Elementtypen untersucht:
Zusätzlich wird die Netzfeinheit, wie in Abbildung 4 dargestellt, variiert.
Abbildung 4: Variation der Netzfeinheit.
Die Ergebnisse der Finite Elemente Analysen mit linearen Hexaedern sind der analytischen Referenzlösung in Abbildung 5 gegenübergestellt. Beim Elementtyp C3D8R wird die Durchbiegung überschätzt, während sich die Elemente C3D8 aufgrund von Shear Locking zu steif verhalten, sodass die Durchbiegung unterschätzt wird. Mit dem speziellen Elementtyp C3D8I, der Shear Locking in biegedominanten Problemstellungen verhindert, liegen die Ergebnisse bereits bei gröberen Netzen deutlich näher an der analytischen Referenzlösung als mit C3D8. Ab einer ausreichenden Netzfeinheit (Netz 4) ist die maximale Durchbiegung weitgehend unabhängig vom gewählten Elementtyp.
Abbildung 5: Einseitig eingespannter Doppel-T-Träger
Wenn quadratische Hexaeder (C3D20R oder C3D20) verwendet werden, stimmen die Lösungen bereits ab Netz 1 bzw. Netz 2 sehr gut mit der analytischen Referenzlösung überein (siehe Abbildung 6).
Abbildung 6: Auswertung der Balkendurchbiegung – lineare und quadratische Hexaeder
Gross, Dietmar, et al. Technische Mechanik 2 Elastostatik. Springer Vieweg, 2024.