Mit großer Wahrscheinlichkeit hat jeder schon mal eine Schraube gesehen, eingeschraubt oder gelöst. Doch was passiert dabei in der Schraube, welche Kräfte wirken und welche Spannungen treten auf? Die Ingenieure unter uns hatten mit Sicherheit mindestens einmal im Studium das Vergnügen, eine Schraubverbindung unter Beachtung sämtlicher Richtlinien und Normen auszulegen. Es sei beispielhaft auf die VDI Richtlinie 2230 Blatt 1 „Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen, Zylindrische Einschraubverbindungen“ verwiesen. Dabei wird man schnell feststellen, dass die analytische Berechnung von Schraubverbindungen ziemlich zeitaufwändig ist, weshalb nachfolgend die Möglichkeiten der Finiten-Elemente-Analyse (FEA) zur Berechnung von Schraubverbindungen aufgezeigt werden. Dazu wurden die am Markt gängigen FEA-Programme ANSYS Workbench, PTC Creo Simulate und Abaqus verwendet.
Zuerst muss die zu untersuchende Schraube in einem Finite-Elemente-Programm modelliert werden. Es gibt viele unterschiedliche Modellierungstechniken für Schrauben, weshalb sie von der VDI Richtlinie 2230 Blatt 2 in vier Modellierungsklassen unterteilt werden. Dabei sind die Modellierungsklassen primär nach der Abbildungsgenauigkeit der Schraubengeometrie gestaffelt.
Die Wahl der Modellierungstechnik ist davon abhängig, welche Ergebnisse von Interesse sind: ist es nur wichtig, dass die Verbindung hält oder sind auch die inneren Kräfte von Bedeutung?
In ANSYS Workbench 15.0 wird die Vorspannkraft mit Hilfe der bolt pretension Funktion erzeugt. Die Berechnung besteht aus mindestens zwei Lastschritten: Durch den ersten Schritt wird automatisch, unter Berücksichtigung der lokalen Steifigkeit, ohne äußere Last der Vorspannweg der Schraube berechnet. Im zweiten Schritt wird der angezogene Zustand gesperrt und es können, falls gewünscht, Betriebslasten aufgebracht werden. So wird die Schraubenvorspannung ermittelt und es können auch noch thermische Belastungen berücksichtigt werden.
Mögliche Schraubenmodelle mit bolt pretension Funktion:
Zusammenfassung und Bewertung der Modellierungsmöglichkeiten von Schrauben in ANSYS Workbench
Volumenkörper (Schraubenmodell 1, 2, 3, 4, 5)
+ Realistischste und genaueste Darstellung
+ Je nach Modellierungsart: Alle Spannungswerte für alle Teile verfügbar
+ Je nach Modellierungsart: Alle Kontaktdetails verfügbar
+ Auswertungstools verfügbar
– Einige Geometrievorbereitungen erforderlich
– Netzkontrollen erforderlich
– Hoher Aufwand für die Modellierung
– Hohe Rechenzeit
Linienkörper (Schraubenmodell 6, 7)
+ Einfache Umsetzung
+ Geringe Rechenzeit
+ Gute Vereinfachung der Steifigkeit von Schraube oder Flansch
+ Einige Auswertungstools verfügbar
– Linienkörper im Modell erforderlich
– Kein detaillierter Kontakt zwischen Verbindung und Flansch
– Keine detaillierte Spannungsauswertung im Flansch
Balken-Connector (Schraubenmodell 8)
+ Einfache Umsetzung
+ Keine Modellierung der Schraube notwendig
+ Geringe Rechenzeit
+ Gute Vereinfachung der Steifigkeit von Schraube oder Flansch
– Kein detaillierter Kontakt zwischen Verbindung und Flansch
– Keine detaillierte Spannungsauswertung im Flansch
– Die richtige Anfangsspannung muss bekannt sein, um die erforderliche Vorspannkraft zu erreichen
– APDL Auswertung
Vor PTC Creo Simulate gab es in Pro/MECHANICA drei Berechnungsmethoden, die eingesetzt wurden, um eine Schraube vorzuspannen:
Zusammenfassung und Bewertung der Modellierungsmöglichkeiten von Schrauben in PTC Creo Simulate bzw. Pro Mechanica
Durchdringung-Methode
+ Einfache Modellierung
+ Sehr zuverlässig
– Hohe Rechenzeit
Temperatur-Methode
+ Geringe Rechenzeit
– Komplexe Modellierung
– Nicht so zuverlässig wie Durchdringung-Methode
Schrauben-KE-Methode
+ Geringe Rechenzeit
+ Einfache Modellierung
– Nicht sehr zuverlässig
Die Durchdringung-Methode ist trotz der höchsten Rechenzeit die gängigste Methode, da die Modellierung einfach und zuverlässig ist.
Ab PTC Creo 1.0 kommt eine vierte Methode des Vorspannens einer Schraube hinzu:
4. Last-Vorspannung-Methode
Hier wird die Vorspannkraft direkt in die Schraube eingeleitet. Auch hier ist ein Dreisatz notwendig.
Prinzipiell bestehen in Abaqus zwei Möglichkeiten eine Schraube zu simulieren: Zum einen die Methode Bolt Load und zum anderen die mittels eines Connectors. Diese beiden Methoden wurden anhand einer beispielhaften Simulation einer gängigen Schraube mit der analytischen Berechnung ebendieser verglichen.
Methode Bolt Load
Mit der Methode Bolt Load kann die Vorspannkraft einer Schraube direkt eingeleitet werden.
Vorgehen:
Als Ergebnis für die Beispielrechnung kann Folgendes festgehalten werden:
Je feiner man das Netz wählt, desto weniger weichen die Ergebnisse für die Flächenpressung von denen der analytischen Berechnung ab. Wenn ein genügend feines Netz gewählt wird, erhält man ohne Probleme Ergebnisse in einem 5%-Toleranz Bereich um das analytisch berechnete Ergebnis. Die Rechenzeit steigt dafür an. Anders verhält es sich bei der Verschiebung der Platten. Hier erhält man, unabhängig von der Netzauswahl, kein zufriedenstellendes Ergebnis.
Connector-Methode
Bei dieser Methode wird die Schraube als Feder realisiert. Connector-Elemente werden als Verbindung zwischen zwei Knoten angelegt. Sie sind durch Angabe von Connector-Merkmalen funktionell definiert. Für eine Schraube kann bspw. der Connector vom Typ Translator verwendet werden.
Vorgehen:
Mit dieser Methode kann lediglich die Verschiebung der Platten berechnet werden. Um die Flächenpressung ermitteln zu können, müssen zusätzlich der Schraubenkopf und die Mutter ausmodelliert, der Connector mittels Coupling-Constraints mit beiden verbunden und das elastische Verhalten des Connectors definiert werden.
Bei der Berechnung der Flächenpressung erhält man, unabhängig von der Netzauswahl, kein realistisches Ergebnis.
Vergleich der Bolt Load- und Connector-Methode
Die Spannungsverläufe beider Methoden kommen der theoretischen Abbildung sehr nahe. Der Spannungsverlauf der Schraubenverbindung mittels Bolt Load stellt aber eine bessere und genauere Darstellung dar als der der Connector-Methode. Auch für die Berechnung der Flächenpressung erzielt die Bolt Load-Methode deutlich bessere Ergebnisse. Für die Untersuchung der Verschiebung der Platten ist hingegen die Connector-Methode besser geeignet.
Qualitativer Spannungsverlauf der Bolt Load-Methode (links), theoretischer Spannungsverlauf (mitte) und Spannungsverlauf der Connector-Methode (rechts)
In der nachfolgenden Zusammenfassung sind die Bolt Load- und die Connector-Methode gegenübergestellt und bewertet.
Zusammenfassung und Bewertung der Modellierungsmöglichkeiten von Schrauben in Abaqus
Bolt Load-Methode
+ Gute Ergebnisse der Flächenpressung
+ Gute Darstellung des Spannungsverlaufs
– Aufwendige Modellierung
– Höhere Rechenzeit
– Schlechte Ergebnisse der Verschiebung der Platten
Connector-Methode
+ Einfache Modellierung
+ Geringe Rechenzeit
+ Akzeptable Ergebnisse der Verschiebung der Platten
– Keine direkte Berechnung der Flächenpressung möglich
– Schlechte Ergebnisse der Flächenpressung
Es gibt viele Möglichkeiten Schraubenverbindungen mittels FEA zu simulieren. Für das Einleiten der Vorspannkraft in ein FE-Modell einer Schraube liegt allerdings noch keine standardisierte Vorgehensweise vor. Verschiedene Firmen haben einen individuellen Lastfall entwickelt, der es ermöglicht die Vorspannung direkt in die Schraube einzuleiten. In Abaqus wird dieser neu entwickelte Lastfall beispielsweise Bolt Load genannt. Jedoch treten mit dieser Methode immer noch für einige spezielle Schraubenverbindungen Probleme auf.
Die Wahl der Methode, mit der Schrauben in der Simulation abgebildet werden, ist stark von dem Anwendungsfall und den Möglichkeiten des Programms abhängig. Eine Patentlösung zur Simulation von Schrauben gibt es leider nicht und bei jeder neuen Simulationsaufgabe muss die passende Methode ausgewählt werden.