Beispiel: Balkentheorie in Z88

Innerhalb der Finite Elemente Analyse erlauben Kontinuumselemente (Hexaeder, Tetraeder, usw.) die Modellierung und Berechnung beliebig komplexer Bauteile. In vielen antriebstechnischen Fragestellungen kann jedoch das betrachtete Maschinenelement mithilfe von Strukturelementen (Balken, Stäben, usw.) vereinfacht abgebildet werden, wodurch der Rechenaufwand erheblich gesenkt werden kann. Dabei erzielt man für die Verformungen und Lagerreaktionen sehr gute Ergebnisse – Kerbspannungen können beispielsweise jedoch nicht berechnet werden.

Insbesondere bei der Auslegung von (Getriebe-)Wellen (siehe Bild 1 bzw. Z88Aurora-Beispiel Nr. 3) ist allerdings das Auslegungskriterium zumeist eine minimale Durchbiegung der Welle, um z. B. Eingriffsstörungen der Verzahnung zu vermeiden. Hierfür kommen daher in der Praxis häufig Balkenelemente zum Einsatz.

Bild 1: Skizze einer Getriebewelle mit Lagern und Lasten

Da die Balkentheorie, als Teilgebiet der technischen Mechanik, eine Modellannahme ist, haben sich über die Zeit verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Detaillierungsgraden und Vereinfachungen entwickelt. Die wohl bekannteste Theorie basiert auf den Bernoullischen Annahmen:

  • Die Länge des Balkens ist deutlich größer als seine Querschnittsabmessungen
  • Balkenquerschnitte, die vor der Deformation senkrecht auf der Balkenachse standen, stehen auch nach der Deformation senkrecht auf der deformierten Balkenachse
  • Querschnitte bleiben auch nach der Deformation in sich eben

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gilt der Balken als schubstarr und man spricht von dem sog. Euler-Bernoulli-Balken. Für schlanke Balken (Balkenlänge größer als etwa die fünffache Höhe des Querschnittes) sind die Bernoullischen Annahmen hinreichend genau und für reine Biegung sogar exakt, jedoch gibt es in der Praxis keinen Balken, der diesem Modell genau entspricht.

Aus diesem Grund wurde die klassische Euler-Bernoulli-Balkentheorie beim sog. Timoshenko-Balken um die Schubverformung in der Bewegungsgleichung erweitert. Die Annahme, dass Balkenquerschnitte auch nach der Verformung senkrecht zur Balkenachse stehen, ist somit nicht mehr erfüllt (siehe Bild 2). Diese zusätzliche Schubdeformation verringert die Steifigkeit des Balkens und führt vor allem bei kurzen, gedrungenen Balken zu realistischeren Deformationen.

Bild 2: Deformationsverhalten eines Euler-Bernoulli- und Timoshenko-Balkens

Die sich ergebenden Unterschiede der beiden Balkentheorien können an einem einfachen Kragbalken-Beispiel (siehe Bild 3) aufgezeigt werden. Dafür wird in Z88 der Elementtyp 25 verwendet, der beide Theorien enthält.

Bild 3: Eingespannter Balken (Kragbalken) mit einer Punktlast F im Abstand l (a) und die resultierende Absenkung w in Abhängigkeit der Laufkoordinate x entlang der Balkenachse (b)

Der Kragbalken aus Stahl (Elastizitätsmodul: 206000 N/mm²; Querkontraktion: 0.3) hat eine Länge von l=500 mm und einen über die Länge konstanten Rechteckquerschnitt (ly=100 mm; lz=200 mm).

Der Durchbiegungsverlauf ergibt sich für den Euler-Bernoulli-Balken wie folgt:

Werden als Erweiterung zu der reinen Biege- auch Schubverformungen erlaubt, ergibt sich der Durchbiegungsverlauf des Timoshenko-Balkens:

Dabei hat der Schubkorrekturfaktor κ bei rechteckigen Querschnitten einen Wert von 5/6. Die für dieses Beispiel resultierenden Biegelinien sind in Bild 4 dargestellt.

Bild 4: Vergleich der berechneten Durchbiegungsverläufe eines eingespannten Balkens

Die beiden Verläufe bestätigen die größere Deformation des schubweichen Timoshenko-Balkens, wobei die Schubabsenkung für dieses Beispiel 12.48 % des Biegeanteils beträgt. Die zusätzlich eingetragenen Verschiebungswerte an den diskreten Knoten des FE-Balkenmodells verifizieren die korrekte Implementierung der beiden Balkentheorien in Z88.

Wer gerne mit der Open Source Version arbeitet, kann ab jetzt die beiden Balkentheorien in der z88v15OS (http://www.z88.de) nutzen!

Die Projektordner des Beispiels für die Z88AuroraV4 sowie die Z88v15OS finden Sie hier zum Download. Bei der FE-Modellierung des Beispiels in Z88 ist allerdings noch eine Besonderheit des Elementtyps 25 zu berücksichtigen: Durch die Angabe eines Kontrollpunktes wird die z-Achse des Querschnittes festgelegt (siehe Z88-Elementbibliothek). Dadurch ist eine beliebige Definition der Orientierung des Querschnittes im Raum möglich. In diesem Beispiel ist der Kontrollpunkt so im Raum positioniert (0.0,0.0,50.0), dass das lokale Koordinatensystem mit dem Globalen übereinstimmt.

 

Literatur:

  1. Cook, R. D.; Malkus, D. S.; Plesha, M. E.; Witt, R. J.: Concepts and Applications of Finite Element Analysis. Fourth Edition, John Wiley & Sons, Hoboken, NJ, 2002
  2. Gross, D.; Hauger, W.; Schröder, J.; Wall, W. A.: Technische Mechanik 2 (Elastostatik). 12. Auflage, Springer Verlag, Berlin u.a., 2014
  3. Wikipedia: Timoshenko beam theory. https://en.wikipedia.org/wiki/Timoshenko_beam_theory. Aufgerufen am 02.07.2017

 

Comments are closed.