Beispiel: Gerberträger 1

Ein Gerberträger mit einer Gleichstreckenlast am auskragenden linken Ende soll berechnet werden, und zwar die Absenkung und die Winkeldifferenz des Gerbergelenks. Das Beispiel ist der S.88 von [1] entnommen. Dieses Beispiel rechnet man eigentlich ansich lieber „zu Fuß“ mit dem Föppl-Symbol oder nutzt ein Balkenprogramm, z.B. ZBALKEN von Rieg [2]. FEM ist dafür mit Kanonen auf Spatzen geschossen und obendrein wird es etwas tricky:

Folgende Daten seien für die FE-Rechnung angenommen:

Träger I 200 mit 2140 cm4 = 21.4 106 mm4

a= 4000 mm

E= 206000 N/mm2

q0= 2t/m = 20 N/mm

Die Berechnung soll mit Z88Aurora ausgeführt werden. Balken mit Gleichstreckenlasten (die theoretische Herleitung dazu steht z.B. in [3]) gibt es in unserem Programm nicht, das macht aber nichts, denn Streckenlasten können über sog. statisch äquivalente Lasten aus Kräften und Momenten abgebildet werden. So gilt für eine Balkenstück mit Gleichstreckenlast nach [4], S.106 ~ 108:

gerber1_14Damit wird am Knoten unmittelbar links der Streckenlast eine Kraft F= -19990 N= und ein Moment M= -6660002 Nmm= und unmittelbar rechts der Streckenlast eine Kraft F=-19990 N und ein Moment M= +6660002 Nmm aufgegeben. Dazu der erste Trick: Direkt auf den Knoten am Gelenklager sollte man die Kraft F nicht aufgeben, weil sie dann sofort vom Lager absorbiert wird! Daher werden für die Streckenlast die Knoten 1 und 2 spendiert; für das Gelenklager erzeugen wir den Knoten 3 mit einem Millimeter Abstand zu Knoten 2. Man macht übrigens in der Technischen Mechanik eigentlich das Gleiche, indem man die Schnittkräfte unmittelbar links und rechts vom Lager rechnet: Lager bedeutet Sprung in der Q-Linie und die Summe aus Q unmittelbar vor dem Lager plus die Summe aus Q unmittelbar nach dem Lager ergibt die Lagerkraft. Für das Gelenk benötigt man zwei spezielle Balkenelemente, und zwar eines ohne Momentenfreiheitsgrad am rechten Ende und eines ohne Momentenfreiheitsgrad am linken Ende. Solche Spezialelemente sind zwar in [4] beschrieben, sind aber – weil sie zu wenig gebraucht werden – nicht in Z88Aurora realisiert. Wir behelfen uns, indem wir anstelle des echten Gelenks ein sehr kurzes Balkenstück mit ganz geringer Balkensteifigkeit EI einfügen. Das ist zwar mathematisch unsauber, weil dadurch sehr große Steifigkeitsunterschiede in der Gesamtsteifigkeitsmatrix auftreten, die dann u.U. zu numerischen Instabilitäten führen können, aber prinzipiell funktioniert das. Wir sehen für das Gelenk ein Mini-Balkenstück mit 4 mm Länge und einem Trägheitsmoment Izz vor, das nur 1/106 des Trägheitsmoments der anderen Balkenstücke aufweist. Damit entsteht folgende FE-Struktur:

gerber1_11

Vorgehen in Z88Aurora:

A: Praeprozessor > Knoten und Elemente erstellen:

Knoten eingeben:

0       0          0
1999    0          0
2000    0          0
3998    0          0
4002    0          0
8000    0          0
gerber1_1

B: Koinzidenz eingeben:

1.Element, definiert durch die Knoten 1 und 2

2.Element, definiert durch die Knoten 2 und 3

3.Element, definiert durch die Knoten 3 und 4

4.Element, definiert durch die Knoten 4 und 5

6.Element, definiert durch die Knoten 5 und 6

gerber1_2

C: Praeprozessor > Picking:

Gleichstreckenlast statisch äquivalente Lasten links: Eingeben Einzelknoten Nr. 1, OK, zweimal Set einfügen (das erste Set ist für die Kraft F, das zweite Set für das Moment M. > Set1 und Set2. Nun ganz wichtig: Taste „Abwählen“.

Gleichstreckenlast statisch äquivalente Lasten rechts: Eingeben Einzelknoten Nr. 2, OK, zweimal Set einfügen. > Set3 und Set4. Abwählen.

Gelenkiges Lager: Eingeben Einzelknoten Nr. 3, OK, Set einfügen. > Set5. Abwählen.

Einspannung rechtes Ende: Eingeben Einzelknoten Nr. 6, OK, Set einfügen. > Set5. Schließen.

gerber1_3

D: Praeprozessor > Elementparameter > Querschnitt

Haken bei „alle Elemente“ wegnehmen,

Element 1 ~ 3: Izz = 21.4E6, restliche Eingaben 1; sie haben keine Bedeutung.

gerber1_4

Element 4 ~ 4: Izz = 21.4, restliche Eingaben 1.

Element 5 ~ 5: Izz = 21.4E6, restliche Eingaben 1.

gerber1_5

E: Praeprozessor > Material > Datenbank:

neues Material anlegen, z.B. „Standard_Stahl“, E= 206000, nue= 0.3.

Dies allen Elementen zuweisen.

gerber1_6

F: Praeprozessor > Randbedingungen > Zuweisen:

Achten Sie auf die Vorzeichen!

Set1: Y-Richtung, Kraft, Wert= -19990, Name z.B. „Fli“.

Set2: Z-Achse, Kraft (= hier Moment), Wert= -6660002, Name z.B. „Mli“.

Set3: Y-Richtung, Kraft, Wert= -19990, Name z.B. „Fre“.

Set4: Z-Achse, Kraft (= hier Moment), Wert= +6660002, Name z.B. „Mre“.

Set5: Y-Richtung, Verschiebung, Wert= 0, Name z.B. „Lali“.

Set6: X-Richtung, Y-Richtung, Z-Achse, Verschiebung, Wert= 0, Name z.B. „Lare“.

Wenigstens an einem Punkt muss auch der X-Richtung gesperrt werden, sonst ist die Struktur statisch unterbestimmt, weil die Balken Nr.13 in Z88Aurora keine reinen Balken im Sinne der Technischen Mechanik sind, sondern Überlagerungen aus Stab und Balken darstellen.

gerber1_8

gerber1_9

G: Solver > Cholesky

H: Postprozessor > Ausgabedaten > Z88O2.TXT:

Man entnimmt der Datei der berechneten Verschiebungen:

Knoten 4: U2= 96.3 [mm] U3= +0.0452 [rad]

Knoten 5: U2= 96.3 [mm] U3= -0.0361 [rad]

Damit ist die Winkeldifferenz 0.0813 [rad].

Analytisch rechnet man [1]:

 w_G = - \frac{1}{12} \cdot \frac{q_0a^4}{EI} = 96.8 \: [mm]

 

 \Delta \varphi = \frac{9}{32} \cdot \frac{q_0a^3}{EI} = 0.0817 \: [rad]

gerber1_10

Beachten Sie bei dem Plot, dass Sie nur dort Verschiebungen sehen, wo Knoten vorhanden sind. Dies ist also keine echte Biegelinie im Sinne der Technischen Mechanik; wollten Sie so etwas sehen, müssten Sie noch eine Reihe von Zwischenknoten einführen, denn die FEM rechnet nur an Knoten und sonst nirgendwo!

Die Verdrehungen sehen Sie überhaupt nicht, weil uns (und anderen auch nicht) noch kein Trick eingefallen ist, wie man Verdrehungen an Punkten optisch darstellt.

Quellen

[1]: Gross, D.; Schnell, W..: Formel- und Aufgabesammlung zur Technischen Mechanik II. Elastostatik. BI-Wissenschaftsverlag. Mannheim/Wien/Zürich:1979
[2]: Decker: Maschinenelemente. 18.Auflage. Carl Hanser Verlag. München:2011
[3]: Bathe,K.J.: Finite-Elemente-Methoden. 2.Auflage. Springer-Verlag. Berlin/Heidelberg/New York: 2002
[4]: Rieg, F.; Hackenschmidt, R.; Alber-Laukant, B.: Finite Elemente Analyse für Ingenieure. 4.Auflage. Carl Hanser Verlag. München:2012

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